
Der massive Mitarbeitermangel im Gastgewerbe stellt Arbeitgeber der Branche vor immer neue Herausforderungen und erzeugt dringenden Handlungsbedarf. Schon heute zeichnet sich ab, dass im Gastwelt-Ökosystem – bestehend aus den Wirtschaftszweigen Tourismus, Travel, Hospitality und Foodservice – bis zum Jahr 2030 zusätzlich bis zu 600.000 Beschäftige altersbedingt ausscheiden und damit fehlen werden, so das Ergebnis der neuen „Next-Work“-Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (Fraunhofer IAO) im Auftrag der Denkfabrik Zukunft der Gastwelt (DZG).
Die Untersuchung verdeutlicht, dass der Industriesektor vor einer tiefgreifenden Transformation steht: Nur durch neue Arbeitsmodelle und -orte, mehr Flexibilität sowie konsequente Digitalisierung und Automatisierung können die 250.000 Gastweltbetriebe in Deutschland ökonomisch bestehen und ausreichend Personal an sich binden, so das zentrale Fazit.
Die aus Tourismus-, Hospitality- und Foodservice-Industrie bestehende Gastwelt bildet mit 5,8 Mio. Erwerbstätigen (jeder achte Mitarbeiter) eine zentrale Säule des inländischen Arbeitsmarktes. Jedoch ist sie spätestens seit der Corona-Pandemie von einem immer härteren Fach- und Arbeitskräftemangel betroffen. Herausfordernde Arbeitsbedingungen, ein „schlechtes“ Image in der Öffentlichkeit sowie – im Vergleich zu anderen Dienstleistungsbranchen – geringere Löhne sorgen für eine gefährliche Negativspirale: So sind derzeit über 40 Prozent der offenen Stellen in der Hospitality unbesetzt. Hinzu kommen eine überdurchschnittliche Mitarbeiterfluktuationen (u.a. durch das Saisongeschäft) und die Tatsache, dass sich die Zahl der begonnenen Ausbildungen in den vergangenen Jahren fast halbiert hat.
Inhaltsverzeichnis
Neue Arbeitszeitmodelle, mehr Homeoffice und Eigenverantwortung gegen Mitarbeitermangel im Gastgewerbe
In ihrer gemeinsamen Studie „Next Work im Business-Ökosystem der 360° Gastwelt“ betonen Fraunhofer IAO und DZG die dringende Notwendigkeit einer Transformation der Arbeitswelt im Dienstleistungssektor und verdeutlichen dies am Beispiel der Gastwelt-Industrie. Im Mittelpunkt stehen dabei alternative Arbeitsmodelle, mit denen die inhaltliche, örtliche und zeitliche Flexibilität der Arbeit erhöht und damit die Attraktivität der Branche als Arbeitgeber spürbar gesteigert werden kann, z.B. durch noch flexiblere Arbeitszeiten, erweiterte Homeoffice-Angebote, mehr Coworking und Nutzung von Shared Offices, Workation sowie abwechslungsreichere Arbeitsinhalte in den Betrieben vor Ort.
Bezeichnenderweise sind mit den in der Gastwelt derzeit vorhandenen flexiblen Arbeitsmodellen aktuell „nur“ vier von zehn der Erwerbstätigen zufrieden (43 Prozent). „Der Hospitality-Sektor hat derzeit einen Homeoffice-Anteil von 2,4 Prozent, hier ist also noch Luft nach oben“, betont Dr. Marcel Klinge, Vorstandssprecher der Denkfabrik. Die Studie weist zudem mit 14,25 Millionen jährlichen Überstunden auf eine massive Schieflage mit potenziell gravierenden Auswirkungen auf Gesundheit, Wohlbefinden und Motivation hin.
Die Wissenschaftler unterstreichen, dass neben mehr Flexibilisierung und Offenheit – z.B. bei der Vier-Tage-Woche –, konsequente Digitalisierung und Automatisierung zur Entlastung der Arbeitnehmenden und Erhöhung der betrieblichen Wertschöpfung einen entscheidenden Beitrag leisten könne und damit für die Branche eine zentrale „Hausaufgabe“ darstelle. „Roboter, die Geschirr abräumen, bei Events servieren und Kochtätigkeiten übernehmen, 24-h-Automaten, die Minibars in Hotels ersetzen, und Künstliche Intelligenz, die Schichteinteilungen, Reservierungen und den Wareneinkauf übernimmt oder bei Buchungen im Reisebüro unterstützt, sind nur einige Beispiele, in welche Richtung es ganz sicher gehen wird“, so der ehemalige Bundestagsabgeordnete.
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Neue Arbeitsgestaltung gegen Mitarbeitermangel im Gastgewerbe
„Vor allem die vielen kleineren und mittleren Unternehmen der Gastwelt stehen vor einer entscheidenden Weichenstellung: Wollen sie weiterhin wirtschaftlich erfolgreich sein und für ein hohes Serviceversprechen stehen, dann ist in der Arbeitsgestaltung ein radikales Umdenken erforderlich“, betont Prof. Dr. Vanessa Borkmann, federführende Wissenschaftlerin und Initiatorin des Innovationsnetzwerks »FutureHotel« des Fraunhofer IAO anlässlich der Präsentation der Studie. „Um wieder mehr neue Talente für uns zu gewinnen und Mitarbeitende langfristig zu halten, müssen wir überkommene Arbeitsmodelle hinter uns lassen und ein Umfeld schaffen, das Mitarbeitende motiviert, Freiräume schafft und Eigenverantwortung fördert“, so Borkmann weiter.
Förderbank und Halbjahres-Arbeitszeitkonten als Ausweg beim Mitarbeitermangel im Gastgewerbe
Die vorliegende Studie zeige, wo man aktuell stehe, welche neuen Wege eingeschlagen werden müssten, und mache auch Mut. DZG-Sprecher Klinge: „Die Botschaft lautet, dass der unvermeidliche Wandel, in dem unsere Unternehmen sich bereits befinden, erfolgreich bewältigt werden kann und praxisnahe Lösungen vorhanden sind. Aber auch die Bundespolitik kann bei diesem anspruchsvollen Transformationsprozess mithelfen, indem sie z.B. eine deutschlandweite Gastwelt-Förderbank für Investitionen in Digitalisierung und Automatisierung einrichtet, die Wochenarbeitszeit flexibilisiert, Halbjahres-Arbeitszeitkonten ermöglicht sowie Überstunden steuer- und abgabenfrei stellt“. Zudem sei es branchenintern wichtig, dass die Bedürfnisse von Gästen und Mitarbeitenden künftig gleichwertig behandelt werden, betont Klinge.
Die Next-Work-Studie kann über die Webseite der Denkfabrik kostenfrei abgerufen werden: https://bit.ly/next_work
Fragen und Antworten
Wie kann man neue Arbeitszeitmodelle im Gastgewerbe einführen?
Flexible Schichtmodelle und Jahresarbeitszeitkonten ermöglichen bessere Work-Life-Balance. Durch variable Einsatzzeiten können Betriebe saisonale Spitzen abfedern und Mitarbeiterbindung erhöhen. Teilzeitmodelle mit planbaren Einsätzen machen den Beruf attraktiver.
Wie kann man Digitalisierung in der Gastronomie umsetzen?
Automatisierte Bestellsysteme und digitale Abläufe reduzieren den Personalbedarf bei Routineaufgaben. Tablets für Bestellungen und Self-Service-Terminals entlasten das Servicepersonal. Backoffice-Prozesse wie Abrechnung und Bestellung können digitalisiert werden.
Wie kann man die Ausbildung im Gastgewerbe attraktiver gestalten?
Moderne Ausbildungsinhalte mit Digitalkompetenz und Karriereperspektiven anbieten. Vergütung während der Ausbildung konkurrenzfähig zu anderen Branchen gestalten. Duale Studiengänge und Aufstiegsmöglichkeiten klar kommunizieren.
Wie kann man Homeoffice-Möglichkeiten in der Gastronomie schaffen?
Administrative Tätigkeiten wie Buchhaltung, Marketing und Planung können remote erledigt werden. Hybridmodelle für Bürokräfte reduzieren den Platzbedarf vor Ort. Digitale Tools ermöglichen Zusammenarbeit auch bei dezentraler Arbeitsorganisation.
Wie kann man die Vergütung im Gastgewerbe verbessern?
Leistungsbezogene Bonussysteme und Trinkgeldtransparenz schaffen Anreize. Branchenübergreifende Vergütungsvergleiche helfen bei der fairen Bezahlung. Zusatzleistungen wie betriebliche Altersvorsorge erhöhen die Attraktivität.
Wie kann man das Image der Gastrobranche aufwerten?
Öffentlichkeitsarbeit mit Erfolgsgeschichten und Karrierewegen betreiben. Moderne Arbeitsumgebungen und professionelle Ausstattung präsentieren. Sozialen Medien nutzen, um positive Arbeitgebermarken zu etablieren.
Wie kann man Mitarbeiterfluktuation reduzieren?
Regelmäßige Feedbackgespräche und Entwicklungsmöglichkeiten anbieten. Betriebsklima durch Teamevents und Wertschätzung verbessern. Karrierepfade innerhalb des Unternehmens transparent darstellen.
Wie kann man Automatisierung in der Küche einsetzen?
Kochroboter für Standardgerichte und Vorbereitungsarbeiten nutzen. Digitale Bestell- und Produktionssysteme optimieren Arbeitsabläufe. Lagerverwaltung und Bestellwesen automatisiert abwickeln.
Wie kann man flexible Arbeitsorte schaffen?
Job-Sharing und projektbezogene Einsätze ermöglichen. Mobile Arbeitsplätze für administrative Tätigkeiten einrichten. Standortübergreifende Personaleinsätze bei Kettenbetrieben organisieren.
Wie kann man Quereinsteiger für das Gastgewerbe gewinnen?
Kompakte Einarbeitungsprogramme und Mentoring-Systeme anbieten. Branchenfremde Kompetenzen gezielt nutzen und wertschätzen. Flexible Einstiegsmöglichkeiten ohne langjährige Berufserfahrung schaffen.
Einflüsse von Künstlicher Intelligenz im Gastgewerbe
Wie verändert Künstliche Intelligenz derzeit das Gastgewerbe? Dr. Wolfgang Sender, Experte für KI-Einsatz, erklärt: “Ich sehe in meiner Beratungspraxis, dass KI-Systeme bereits heute operative Abläufe in Küchen, im Service und im Gästemanagement unterstützen.” Automatisierte Bestellprozesse, dynamische Preisanpassungen bei Zimmern und Tischen sowie personalisierte Gästekommunikation gehören zu den sichtbaren Einflüssen. Algorithmen optimieren Lagerhaltung und Einkauf, während Sprachassistenten standardisierte Anfragen bearbeiten. Die menschliche Fachkraft bleibe jedoch für komplexe Serviceleistungen und gastronomische Kreativität unverzichtbar, betont Sender.
Für die kommenden fünf bis zehn Jahre prognostiziert Sender eine stärkere Integration von KI in Bereichen wie personalisierter Gastronomieerlebnisse und prädiktiver Betriebssteuerung. Nach seiner Einschätzung werden KI-gestützte Systeme wahrscheinlich Menüplanungen auf Basis von Nachfrageprognosen erstellen und Energiemanagement in Hotels optimieren. Sender erwartet, dass spezialisierte manuelle Arbeiten wie handwerkliche Food-Produktion und akademische Steuerungsfunktionen für KI-Systeme weiterhin menschliche Expertise erfordern. “Ich erwarte voraussichtlich hybride Arbeitsmodelle, bei denen KI repetitive Aufgaben übernimmt und Mitarbeiter sich auf qualitative Gästeinteraktionen konzentrieren können.”
Berufseinsteigern rät Sender zur Aneignung von Kompetenzen im Umgang mit Gastronomie-Software, Datenanalyse-Tools und KI-gesteuerten Buchungssystemen. “Ich empfehle, sich auf Bereiche zu konzentrieren, die menschliche Urteilsfähigkeit mit technischer Assistenz verbinden”, so der Experte. Chancen liegen in effizienteren Betriebsabläufen und individualisierten Serviceangeboten, während Risiken in unzureichender Technologieakzeptanz und Datenschutzfragen bestehen. Eine General AI würde nach aktuellem Stand eher unterstützend wirken, ohne grundlegende gastronomische Kernkompetenzen zu ersetzen. Blue-Collar-Tätigkeiten in spezialisierter Lebensmittelzubereitung behalten ebenso Bedeutung wie akademische Forschung zur Weiterentwicklung gastgewerbespezifischer KI-Anwendungen.
Stichwortsuche zu diesem Beitrag: Automatisierung, Digitalisierung, Gastgewerbe, Hospitality, Mitarbeitermangel, Tourismus als Beruf
